Ein Interview mit Michael Haaß
Wir haben mit Michael Haaß, Bereichsleiter Recruiting-Services, über Entwicklungen auf ingenieur.de und aktuelle Herausforderungen auf dem Jobmarkt für Ingenieur:innen und IT-Fachkräfte gesprochen. Und mit welchen Tipps und Kniffen Unternehmen diese heißbegehrten Zielgruppen für sich gewinnen können. ingenieur.de, das Technik-Karriere-News-Portal des VDI Verlags und Partner von Personalwerk, steht für aktuellste Tech-News aus aller Welt, exklusive Unternehmenseinblicke und spannende Interviews mit Forschenden und Konzernlenkenden.
Das Karriereangebot von ingenieur.de richtet sich an Studierende, Absolventinnen und Absolventen sowie erfahrene Ingenieurinnen und Ingenieure sämtlicher Fachrichtungen, an Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und alle Technikinteressierten.
Personalwerk (PW): Hallo Michael, kannst du dich kurz selbst vorstellen?
Michael: Gerne! Ich bin 46 Jahre alt, Vater von drei Kindern und seit September 2022 beim VDI Verlag, war zuvor bei der dfv Mediengruppe und davor bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei beiden Unternehmen war ich im Bereich Stellenmarkt/Karriere tätig. Beim VDI Verlag leite ich nun den Bereich Recruiting Services und vermarkte sämtliche Kommunikationsformate und -lösungen für das Themenfeld Karriere.
PW: Wie ist die aktuelle Lage auf dem Jobmarkt für Ingenieur:innen?
Michael: Der Arbeitsmarkt in den Ingenieur- und Informatikerberufen befindet sich in Deutschland weiterhin auf einem hohen Engpassniveau. Es fehlen zahlreiche Fachkräfte. Maßgeblich sind vor allem zwei Einflussgrößen, die den Markt prägen: a) kurzfristig führt die starke konjunkturelle Abkühlung dazu, dass die Engpässe abnehmen, aber b) mittelfristig führen strukturelle Gründe dazu, dass die Engpässe deutlich steigen und damit den Erfolg der Transformationsprozesse gefährden.
Ein Wert, der für die Einordnung wichtig ist und den man sich anschauen sollte, ist die Engpassrelation oder Engpasskennziffer, also die Anzahl der offenen Stellen in Bezug zur Anzahl der Arbeitslosen. Im vierten Quartal 2023 betrug der Wert der Engpasskennziffer 380 in Ingenieur- und Informatikerberufen, also 380 offene Stellen je 100 Arbeitslose – ein deutlicher Engpass. Hierbei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen den Berufskategorien: Energie- und Elektrotechnik (615), Bau/Vermessung/Gebäudetechnik und Architektur (485), Maschinen- und Fahrzeugtechnik (392) und Informatiker (380).
Speziell aktuelle Themen mit einer sehr hohen Dynamik wie Digitalisierung, Klimaschutz, Energiewende und dann konkreter Industrie 4.0, umweltfreundliche Technologien, Erneuerbare Energien, KI, autonomes Fahren, Smart Cities, Robotik, neue Recycling-Systeme – um nur einige zu nennen – erhöhen die Nachfrage nach Fachkräften und Spezialisten in einem rasanten Tempo und für die einzelnen Fachdisziplinen in unterschiedlichem Ausmaß. Die vier oben genannten Berufskategorien sind hierbei besonders wichtig.
Mittelfristig wird durch Demografie, Digitalisierung und Klimaschutz der Bedarf an Beschäftigten in Ingenieur- und Informatikberufen deutlich zunehmen. Und schon jetzt geben zahlreiche Unternehmen an, dass fehlende Fachkräfte ein Hemmnis darstellen, das eigene Unternehmen hinsichtlich des Klimaschutzes und der Energiewende besser aufzustellen.
Auch die akademische Qualifikation in Informatik und Ingenieurswissenschaften ist kritisch für den Erfolg dieser Transformation. Besonders problematisch ist daher auch, dass die Anzahl der Studienanfänger in Studiengängen dieser Bereiche in den letzten 8 Jahren von 143.400 auf 128.400 gesunken ist. Additiv hierzu hat sich der Anteil hochkompetenter Schüler der Mathematik in den letzten 10 Jahren halbiert.
Um zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen, ist es daher ratsam, Potenziale von Älteren und Zuwanderern zu heben. Perspektivisch ist es von elementarer Bedeutung, die MINT-Bildung in Schulen zu verbessern, die Stärken der Schüler in MINT-Fächern durch geeignete Feedbacksysteme frühzeitig sichtbarer zu machen und die Bedeutung von MINT-Kompetenzen für den Klimaschutz zu betonen. Und nicht zuletzt auch eine klischeefreie Studienorientierung zu ermöglichen, um auch mehr junge Frauen für ein Ingenieurs- oder Informatikstudium zu gewinnen.
PW: Inwiefern macht euch die Verzahnung von ingenieur.de und dem VDI – mit rund 130.000 Mitgliedern der größte Verein für Ingenieure in Deutschland – einzigartig unter den Jobportalen?
Michael: Die Anbindung unseres Portals an die VDI-Gruppe, bestehend aus dem Verein, dem Technologiezentrum, dem Wissensforum und dem Verlag, macht uns besonders. Wenn Sie einen Ingenieur oder technikversierten und -interessierten Menschen suchen, ist es sinnvoll, dies auch über uns zu tun. Nur wenige Portale verfügen über zielgruppenspezifische Newsletter, E-Paper, Recruiting-Events und die journalistische Qualität, die eine Vielzahl von Touch Points zu Interessenten schaffen und eine Durchdringung der Zielgruppe sicherstellen. Allein mit den VDI Nachrichten erreichen wir lt. AWA 350.000 Leser, mit den digitalen Angeboten dann monatlich nochmals um ein Vielfaches mehr.
PW: Ihr vermittelt auch Young Talents direkt von der Uni. Inwiefern ist Nachwuchsarbeit wichtig, um die Fachkräfte von morgen zu gewinnen?
Michael: Wir möchten Ingenieuren und technikbegeisterten Menschen Angebote unterbreiten, die sie auf ihrem gesamten (beruflichen) Lebensweg begleiten. Daher würde ich sogar noch ein bisschen weiter vorne anfangen. Es gibt beispielsweise den VDIni-Club, wo bereits Kinder ab 4 Jahren auf kreative und spielerische Weise mit dem Themenfeld Technik in Verbindung kommen können. Das setzen wir mit Angeboten für ältere Zielgruppen fort, bis hin zu den Young Engineers und den Ingenieuren, die Mitglied im VDI sind. Wir möchten junge Menschen dafür begeistern, sich mit technischen Themen zu beschäftigen, einen Studiengang in diesem Bereich zu wählen und natürlich Teil der VDI-Community zu werden. Und entlang dieses Weges interessante Angebote je nach Lebens- oder Berufsphase vorzuhalten: z. B. einen spannenden Job, eine passende Weiterbildung oder auch hochwertigen, redaktionellen Content. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal: Wir erreichen die Zielgruppe.
PW: Man sagt ja, gewisse Zielgruppen ticken so und so, und denen ist das und das besonders wichtig. Wie ist das bei Ingenieur:innen?
Michael: Eine schwierige Frage und pauschal sicherlich nicht zu beantworten. Wenn ich sie jedoch beschreiben müsste, dann vielleicht so: Ingenieure sind eine sehr spezielle Zielgruppe. In der Ansprache ist sie weniger emotional als andere Zielgruppen. Dies sollte sich auch in Employer-Branding-Formaten oder im Wording von Stellenanzeigen wiederfinden. Da braucht man nichts wahnsinnig Blinkendes, Werbliches. Das ist eher kontraproduktiv. Der Zielgruppe geht es um Sachlichkeit, Kompetenz und Seriosität.
PW: In welchen Bereichen ist es besonders schwierig, Ingenieurstellen zu besetzen?
Michael: Wie eingangs erwähnt, gibt die Engpasskennziffer hier einen guten Überblick. Die Ingenieurberufe Energie- und Elektrotechnik weisen im vierten Quartal 2023 mit durchschnittlich 615 offenen Stellen je 100 Arbeitslosen den größten Engpass auf, gefolgt von den Bauingenieurberufen mit einer Relation von 485 zu 100. An dritter Stelle stehen die Informatikerberufe mit einer Relation von 380 zu 100. Vergleichsweise niedrige Engpassrelationen finden sich in den Ingenieurberufen Metallverarbeitung mit 244 zu 100, in den Ingenieurberufen Technische Forschung und Produktionssteuerung mit 210 zu 100, in den Ingenieurberufen Kunststoffherstellung und Chemie mit 202 zu 100 und in sonstigen Ingenieurberufen mit 124 zu 100.
PW: Welche Tipps hast du für Arbeitgeber parat, die gerade auf der Suche nach Ingenieur:innen sind?
Michael: Aus meiner Sicht sollten Unternehmen eine konsistente, authentische Kommunikationsstrategie implementieren, die dauerhaft dafür sorgt, eine nachhaltige Employer Brand aufzubauen, die Menschen auf ihrem beruflichen Weg immer wieder begegnet, Kontaktpunkte schafft, Neugier weckt und zu Austausch einlädt.
Speziell wenn der Engpass wie bei Ingenieuren groß ist, wird das Werben um geeignete Kandidaten stärker. Und weil ein Jobstart oder Jobwechsel des Kandidaten genau wie eine offene Vakanz bei Unternehmen zeitlich sehr punktuelle Ereignisse sind, ist regelmäßige Sichtbarkeit in der Zielgruppe essenziell, um die Anzahl der potenziellen „Matches“ zu erhöhen.
Darüber hinaus halte ich es für sehr wichtig, für die Arbeitgebermarke ein authentisches Bild zu kreieren, dieses mit spannenden Geschichten aufzuladen und hierfür auch hinsichtlich neuer Kommunikationsformate offen und mutig zu sein. Content-Formate wie z. B. Podcasts oder Storytellings, die häufig Geschichten von Menschen in den Vordergrund stellen („People Stories“) und so ein ganz anderes Level von Nahbarkeit und Authentizität schaffen, eignen sich hierfür in besonderem Maße.
Dies bedeutet nicht, dass auf klassische Stellenanzeigen verzichtet werden kann, denn diese sind für eine konsistente Kommunikation von elementarer Bedeutung – sie reichen nur als einzige Kommunikationsmaßnahme nicht mehr aus, um Personalmarketing effektiv zu betreiben, denn zum einen bieten sie nicht den Individualisierungsgrad wie z. B. erwähnte Content-Formate und sind auch hinsichtlich der inhaltlichen Tiefe nicht mit diesen vergleichbar. Zum anderen erreichen Stellenanzeigen in Datenbanken vor allem aktiv Suchende, die jedoch deutlich größere Gruppe der latent Suchenden muss in einem anderen Setting und Umfeld angesprochen werden.
Daher ergibt eine Kombination aus unterschiedlichen Maßnahmen, unterschiedlichen Medien und Formaten sowie auch unterschiedlichen Kanälen letztendlich eine Kommunikationsstrategie, die bestmöglich und fortlaufend auf die Personalmarketingziele einzahlt.
Mut und Offenheit bedarf es auch im Hinblick auf die Öffnung für den ausländischen Arbeitsmarkt. Wie an den aktuellen Engpassrelationen sichtbar und mit dem Wissen um den demografischen Wandel sowie rückläufigen Studierenden- und Absolventenzahlen wird der Bedarf an Ingenieur:innen und Informatiker:innen ohne qualifizierte Zuwanderung nicht gedeckt werden können. Also sollte man sich Fragen stellen, wie z. B.: Was kann ich Menschen aus dem Ausland anbieten, damit sie sich für mich entscheiden? Wie kann ich Sprachbarrieren abbauen, kulturelles Verständnis fördern und interkulturelle Kompetenzen aufbauen?
PW: Unterstützt der VDI dabei, auch ausländische Fachkräfte zu gewinnen?
Michael: Ja. Zum Beispiel hat der VDI mit Unterstützung des Bundesarbeitsministeriums ein Pilotprojekt in NRW aufgesetzt, mit dem wir bereits in Deutschland befindliche ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure, aber auch Studierende nachhaltig auf den Weg zu einer ausbildungsadäquaten Beschäftigung in Deutschland bringen wollen. Dieses Projekt läuft bis 2025 und umfasst beispielsweise eine Qualifizierungsreihe, die Brücken in Zukunftstechnologien hineinbauen soll, ein Mentoring/Coaching-Programm, in dem VDI-Mitglieder ausländischen Ingenieurinnen und Ingenieuren bei der Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft zur Seite stehen, sowie Networking-Veranstaltungen vor Ort, um den Austausch zwischen ausländischen Fachkräften, aber auch mit deutschen Ingenieurinnen und Ingenieuren zu stärken.
PW: Lieber Michael, herzlichen Dank für das Gespräch!
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