Video- und Telefonkonferenzen ersetzen unnötige Dienstreisen. Paketboten, Pflegekräfte, Erntehelfer und Supermarktmitarbeiter gehören zu den gefragtesten und gefeiertesten Berufsgruppen. Unglaublich, aber wahr: Was vor kurzem noch als Utopie aus einer fernen Zukunft oder Wunschdenken von links-grünen Ideologen abgestempelt worden wäre, ist in Deutschland seit März 2020 tatsächlich Realität.
Zu „verdanken“ haben wir diese Revolution der Corona-Pandemie und dem Social Distancing. Denn dieses hat neben Entbehrungen im privaten Bereich eben auch weitreichende Veränderungen des Arbeitslebens und ein rasches Umdenken vieler Arbeitgeber nach sich gezogen – besonders bei denen, die bislang einen großen Bogen um das Thema New Work gemacht haben. Als positiver Nebeneffekt der aktuellen Krise haben sich wünschenswerte Entwicklungen im Sinne der „Neuen Arbeit“ daher extrem beschleunigt.
Was ist New Work eigentlich?
Falls Sie auch erst New York gelesen haben: Nein, es geht nicht um die bevölkerungsreichste Stadt der USA, sondern um ein Konzept des Arbeitsphilosophen Frithjof Bergmann, das die Potenzialentfaltung jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es hat seinen Ursprung in einigen Beobachtungen, die Bergmann Ende der 1970er bei (Fließband-)Arbeitern in der Automobilindustrie machte. Diese Leute seien u. a. durch eine „Armut der Begierde“ gekennzeichnet gewesen, hätten keine Erwartungen an ihre Arbeit gehabt und die Frage, warum sie in diesem Beruf arbeiteten, nicht beantworten können.
Daraufhin entwickelte Bergmann die Idee, dass ein Mensch herausfinden müsse, „was er wirklich, wirklich will“, um eine erfüllende Tätigkeit ausüben und sich von Zwängen der Lohnarbeit befreien zu können. Deshalb gründete er 1984 das erste „Zentrum für Neue Arbeit“ in der US-amerikanischen Autostadt Flint, Michigan. Dort und anderswo sollen Menschen gemeinsam mit gut ausgebildeten Mentoren ihre Selbsterkenntnis erlangen und auf die Suche nach einer Arbeit gehen, die mit den eigenen Wünschen, Hoffnungen und Begabungen in Einklang steht. Einerseits ist diese Selbstverwirklichung mit einem gewissen Individualismus, andererseits auch mit dem Sinn der Arbeit für die Gesellschaft verbunden.
Warum ist New Work so wichtig?
Die „alte“ Arbeitswelt erfährt einen grundlegenden strukturellen Wandel: Durch Digitalisierung und Automatisierung werden bestimmte Tätigkeiten überflüssig und andere geschaffen, die neue Anforderungen an die Arbeitskräfte stellen. In Zukunft wird es daher immer wichtiger, dass Menschen ihre Potenziale erkennen und ausschöpfen – und dabei unterstützt werden. Kompetente Karriereberatung sowie Aus- und Weiterbildung sind eine Aufgabe für alle in unserer Gesellschaft. Dabei stehen staatliche Institutionen wie Arbeitsämter, Berufs- und Hochschulen ebenso in der Pflicht wie die Arbeitgeber. Vor allem Führungskräfte und Personaler müssen auf Veränderungen in dieser neuen Arbeitswelt vorbereitet werden.
Zudem wird die „alte“ Arbeitswelt, die frühere Generationen als gegeben hingenommen haben, von den jüngeren Generationen Y und Z immer stärker hinterfragt. Sie wünschen sich eine gute Work-Life-Balance, sinnvolle Aufgaben, eine Vertrauenskultur und eine moderne Führung, die von Augenhöhe, Wertschätzung und Coaching geprägt ist. Mit anderen Worten: Viele Erwerbstätige haben heute Erwartungen an ihre Jobs, die sich mit zentralen Werten der „Neuen Arbeit“ wie etwa Selbstständigkeit, Freiheit und soziale Verantwortung decken. Dass die meisten Arbeitgeber den Wünschen ihrer Beschäftigten nun so schnell – zum Schutz der Gesundheit – nachkommen (mussten), hätte vor Corona wohl niemand geglaubt.
Aufgrund des Fachkräftemangels in einigen Branchen gab es zwar schon vor der Corona-Krise den Trend hin zu einer Flexibilisierung der Arbeitswelt. Mit Homeoffice, Jobsharing und flexiblen Arbeitszeiten ist es aber noch nicht getan: Gerade Berufe, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft wichtig sind und bisher ein Schattendasein führten, müssen deutlich mehr Wertschätzung erfahren und attraktivere Rahmenbedingungen bieten, um für (zukünftige) Arbeitnehmer interessant zu sein. Diese Aufwertung von „systemrelevanten“ Berufen ist ein wesentliches Anliegen der „Neuen Arbeit“ und wird über die Corona-Krise hinaus weitergehen.
Wie New Work Ihr Unternehmen besser macht
New Work ist nicht nur eine romantische Utopie von einer besseren Welt, sondern zielt auf höhere Produktivität, gesellschaftlichen Nutzen und messbaren unternehmerischen Erfolg ab. Die US-Tech-Riesen Apple, Google, Facebook und Microsoft, bei denen Werte der „Neuen Arbeit“ schon seit Jahren gelebt werden, beweisen das eindrucksvoll. Doch diese Paradebeispiele können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Unternehmen das Thema New Work bislang eher stiefmütterlich behandelt haben – obwohl die Umsetzung keine Zauberei ist. Einige mögliche Herangehensweisen:
- Geben Sie Ihren Beschäftigten sinnvolle Aufgaben und eine gemeinsame Mission.
- Fragen Sie sie nach ihren Wünschen und reagieren Sie mit entsprechenden Maßnahmen.
- Bieten Sie ihnen persönliche Entwicklungsmöglichkeiten und Perspektiven in Ihrem Unternehmen.
- Fördern Sie ihre Talente durch Schulungen, Workshops und Weiterbildungsangebote.
- Schaffen Sie bestmögliche Arbeitsbedingungen und Gestaltungsfreiräume für eine gute Work-Life-Balance.
- Erhöhen Sie mithilfe von Employer Branding Ihre Arbeitgeberattraktivität.
Gerade der letzte Punkt ist in der aktuellen Situation äußerst relevant: Bis zu 10 Millionen Menschen in Deutschland sind momentan in Kurzarbeit und haben genug Zeit, um darüber nachzudenken, ob ihr derzeitiger Job eigentlich das ist, was sie wirklich wollen. Das stellt die Unternehmen auf eine harte Probe: Denn jetzt zeigt sich, wer aus der Krise gelernt und die Chancen der „Neuen Arbeit“ erkannt hat – und wer seinen Beschäftigten nur vorübergehend Freiheiten zugestanden hat, weil er musste. Klar ist: Um die eigenen Mitarbeiter zu halten und eventuell sogar Wechselwillige anzuwerben, kommt auf Dauer niemand mehr an New Work vorbei.